In seiner monatlichen Kolumne wirft Spiele-Entwickler und -Autor Wolfgang Walk einen ebenso umfassenden wie kritischen Blick auf die deutsche Spiele-Industrie. Und identifiziert heute eine Chance, die so schnell nicht wiederkommt.
Es ist ja längst nicht alles schlecht, wenn es um die deutsche Spieleindustrie geht. Es gibt wirklich Grund für Optimismus, möglicherweise sogar eine echte Chance: die erste seit mindestens zehn Jahren, aus dem internationalen Schattendasein herauszutreten. Davon gleich mehr. Zunächst aber das Schlechte, damit wir’s hinter uns haben:
2016 war, ohne jetzt zu sehr in die Einzelheiten gehen zu wollen, ein hartes Jahr: Einem Verlust von gut 1.000 Arbeitsplätzen in der Gesamtindustrie bei Goodgame, Wooga, Gameforge, Daedelic und anderen standen auf der anderen Seite deutlich weniger Einstellungen gegenüber. Der BIU-Jahresreport über den Zustand der Gamesbranche 2017 ist noch nicht veröffentlicht, aber der Gesamtverlust an Jobs dürfte hoch dreistellig gewesen sein. Und das ist bei einer zum April 2016 erfassten Gesamtbeschäftigung von etwa 12.000 Angestellten in den Bereichen Publishing und Entwicklung schon erheblich. Einige der Entlassenen haben sicher neue Stellen gefunden, weitere versuchen, eine Weile als Freelancer zu überleben, bis die Zeiten sich bessern. Aber ein nicht unerheblicher Teil wird sein Glück in anderen Industrien suchen – und voraussichtlich auch finden.
Es herrschte Ende letzten Jahres Untergangsstimmung allerorten. Und es ist ja richtig: die Situation war schwierig – und ist es noch. Vor allem aber hat sie die Industrie eine Menge Talente gekostet. Sie hat einmal mehr klar gemacht, wie unsicher ein Leben in der Spieleindustrie oft ist. Dazu später noch mehr.
Nun bin ich in der Branche nicht unbedingt als Hyperoptimist verschrien. Aber: Es war damals nicht alles schlecht, und mein damaliger Optimismus hat sich bislang weitgehend bestätigt. Es ist nämlich etwas eingetreten, was viele Unkenrufer nie erwartet hätten – und einige immer noch nicht wahrhaben wollen.
Was passiert ist? Qualität ist passiert.
Es begann schon im Dezember, als das Münchner Studio Mimimi das Genre des taktischen Schleichspiels à la Commandos wiederbelebte, um ein paar schöne Mechaniken bereicherte – und damit einige internationale Aufmerksamkeit erregte. Momentan steht Shadow Tactics bei einem Metascore von 85% und in prominenter Nachbarschaft von Spielen wie Command & Conquer 3: Tiberium Wars oder Everquest. Momentan arbeitet das Studio an eine neuen Titel für eine ruhmreiche Brand bei einem internationalen Publisher.
Shadow Tactics von Mimimi Productions (Bild: Mimimi)
Allerdings ist die Behauptung falsch, dass die Sache mit der Qualität erst im Dezember begann, mitten in die größten Entlassungswellen hinein, als hätte Frodo gerade noch so, kurz bevor der neue König erschlagen wird, den Ring in Mount Doom versenkt (Frodo – ihr sollt mir doch nicht alles unbesehen glauben – hat ihn übrigens gar nicht versenkt. Eigentlich hat der Ring ja auf ziemlich komplizierte Art und Weise Suizid begangen, aber das nur nebenbei …).
Es, also die Sache mit der Qualität, begann früher. Schon Lords of the Fallen von Deck 13 hatte international für ein anerkennendes Zucken der Augenbrauen gesorgt. Mal keine WiSim und kein Point & Click-Adventure aus Deutschland? Und dann taugt das Game auch noch was?
Aber es ist ja auch nicht wahr, dass das erst der Anfang war. Erinnert sich noch jemand an SpecOps – The Line?
Aber, hör ich die ewigen Kritikaster einwenden: ein richtiger Megaerfolg war keines von denen!
Das ist richtig. Es ist aber nicht richtig – was lange behauptet wurde und nach wie vor in einem sehr deutschen Akt der Selbstbezichtigung behauptet wird: dass aus Deutschland keine guten Spiele kommen. Es ist Stand jetzt nicht mal mehr richtig, dass die genannten Beispiele Einzelfälle sind. Im April ist Yagers neues Spiel Dreadnaught in die Closed Beta gegangen, im Mai dann in die Open Beta. Die Erwartungen sind hoch. Gerade wurde Daedelics Space-Opera Long Journey Home veröffentlicht, beinahe hymnisch besungen von Rock, Paper, Shotgun und anderen größeren Webzines. Und auf dem gleichen Portal erklangen Lobgesänge für The Surge, das ebenfalls im Mai erschienen ist und von den Lords of the Fallen-Machern Deck 13 stammt. Andere mit Spannung erwartete Titel sind noch in der Pipeline.
Bei dieser Aufzählung fallen eine Reihe sehr interessanter kleinerer Indie-Titel, die in den letzten Jahren erschienen sind und teilweise internationale Beachtung fanden, beinahe unter den Tisch: die Hamburger Osmotic Studios veröffentlichten Orwell und ernteten internationalen Applaus. The Curious Expedition des Berliner Studios Maschinen-Mensch wäre zu nennen, oder In Between von dem noch sehr jungen Trierer Studio Gently Mad. Und eine ganze Reihe weiterer Spiele, on- und offline, habe ich jetzt hier aus Platzgründen nicht erwähnt.
Szene aus In Between von Gently Mad (Bild: Gently Mad)
Fällt was auf? Keines dieser Games ist eine Wirtschaftssimulation. Keines ist ein Point & Click-Adventure. Und schon das alleine widerlegt die Behauptung, die deutsche Games-Szene wäre unrettbar in diese beiden Genre verstrickt. Das mag noch vor fünf Jahren so geschienen haben oder meinetwegen auch so gewesen sein. Aber diese Zeit ist vorbei.
Vorbei ist auch die Diversität erstickende Dominanz des Free-to-Play-Marktes in Deutschland. Wer sich die oben erwähnten Entlassungswellen anschaut, der wird feststellen, dass der überwiegende Teil – eigentlich mit der Ausnahme Daedelic – auf Free-to-Play-Publisher und Mobile fällt. Und deren Probleme liegen nicht primär an mangelndem Qualitäts-Potenzial in der Entwicklung, wie auf der anderen Seite nämlich zum Beispiel Fluffy Fairy Games aus Karlsruhe zeigen, die mit ihrem Idle Miner Tycoon momentan eine noch überschaubare, aber mit über 5 Millionen Downloads und sechsstelligem Monatsumsatz schon recht beachtliche Erfolgsgeschichte hinlegen. Manchmal ist es besser, wenn hinter einer Entwicklung kein millionenschwerer Publisher mit Erwartungen an die Quartalszahlen steht.
Tatsächlich ist die deutsche Entwicklungslandschaft inzwischen wesentlich breiter aufgestellt als noch vor wenigen Jahren, haben sich an vielen Stellen in Deutschland junge Studios etabliert, die international mitmischen wollen und bereit sind, sich den entsprechenden Qualitätsansprüchen zu stellen – und zwar quer durch eigentlich alle Märkte. Und einige der Alteingesessenen begrüßen die Herausforderung, zeigen, was sie in den Jahrzehnten seit Mitte der 90er Jahre alles gelernt haben und mischen kräftig mit oder betätigen sich sogar – siehe Yager und Deck 13 – als Zugpferde. Und Ubisoft BlueByte eröffnet in Berlin ein neues Studio, das an den größten internationalen Marken des Publishers mitarbeiten soll.
Auf der anderen Seite des Entwicklerspektrums forderte Thorsten Storno in seiner Eröffnungsrede des diesjährigen A.Maze-Festivals die Indie-Szene auf, sich bei der Industrie doch mal abzuschauen, wie man mit Games auch Geld verdienen kann. Nichts wäre schlimmer, als wenn diese Szene, die ja auch eine große und sehr bunte Talentschmiede ist, an Selbstausbeutung und prekären Lebenssituationen zugrunde ginge. Auch meine persönliche, natürlich anekdotische Erfahrung gibt Grund zu der Hoffnung, dass die Berührungsängste abnehmen und die Einsicht sich durchsetzt: Die alten, erfahrenen Säcke, das waren die Indies der 90er. BlueByte war zu Siedler2-Zeiten ein Indie mit 20 Entwicklern und 6 Leuten für Vermarktung, PR, Sales, Buchhaltung und Geschäftsleitung! Die kann man durchaus mal was fragen, ohne direkt zum Sell-Out zu werden.
Sehe ich das zu positiv? Ist das vielleicht nur eine kurzfristige Welle, die bald wieder abebbt? Vielleicht. Gefahren gibt es jedenfalls reichlich.
Es lohnt sich immer, die strukturellen Schwächen im Blick zu behalten, mit der die Branche in Deutschland zu kämpfen hat. Aber ein Mangel an Talenten oder Entwicklungspotenzial zählt eben nicht dazu. Es gibt drei große Felder, die erwähnt werden müssen. Drei Felder, die schon seit vielen Jahren dafür sorgen, dass der Anteil deutscher Produkte am deutschen Games-Markt seit einem Jahrzehnt konstant sinkt.
Da wäre zunächst der Umstand, dass Deutschland noch nie einen international wirkmächtigen Publisher hervorgebracht hat. Einen Publisher, der in der Lage ist, AAA-Produktionen zu finanzieren, zu entwickeln und zu vermarkten. Die zaghafte, vorsichtige Blüte, die ich hier beschreibe, verdankt sich zu einem erheblichen Teil der Existenz kleiner bis mittlerer, engagierter Publisher wie Headup Games, Kalypso, King Art oder auch Daedelic.
Unlängst erschienen: The Long Journey Home (Bild: Daedalic)
Diese Häuser, denen man für ihre Arbeit mal ein Denkmal hinstellen sollte, werden aber nach Lage der Dinge bis auf Weiteres nie in der Lage sein, Budgets auszugeben, mit denen ein Entwickler eine langfristige Personalplanung absichern kann. Es sind erstklassige Adressen, um ein kleines Studio bis zu einer Grenze von vielleicht 20 bis 25 oder 30 Mitarbeitern zu entwickeln. Die Budgets sind in der Regel aber so klein, dass eine international wettbewerbsfähige Bezahlung der Entwickler nur selten in Frage kommt. Selbstausbeutung bzw. Idealismus sind eingepreist, Seniorität wandert gerne mal ab, vor allem, wenn irgendwann nach dem 30. Geburtstag hungrige Mäuler zu stopfen sind.
Aus diesem Grund aber bieten die Publisher nur bedingt eine Angriffsplattform auf die internationalen Märkte. Es ist auf dieser Basis in Deutschland für einen Entwickler sehr schwierig, den Sprung von 25 oder 30 Mitarbeitern auf jene 50 bis 100 oder mehr zu schaffen, die nun einmal notwendig sind, um eine international wettbewerbsfähige und finanziell durchschlagend erfolgreiche Produktion mit siebenstelligen Verkaufszahlen im Hochpreissegment zu stemmen. Nicht nur vervierfacht sich hier gerne mal die Zahl der Angestellten. Jeder einzelne von ihnen muss dann auch erheblich mehr verdienen. Nicht zufällig sind also auch zwei der drei oben erwähnten und gerade Wellen schlagenden Produktionen bei internationalen Publishern veröffentlicht worden. Nur die kleinste der drei, Long Journey Home, erschien bei Daedelic.
Und damit bin ich beim zweiten der chronischen Probleme der deutschen Branche: Das Fehlen eines oder mehrerer international wirksamer Publisher dürfte auch an einer im internationalen Vergleich sehr konservativen Investorenlandschaft liegen. Die grob über den Daumen gepeilten 500 Millionen, die es bräuchte, um einen wettbewerbsfähigen AAA-Publisher zu starten, die kriegt man hierzulande bislang nicht einmal annähernd zusammen: Banken verleihen für Spiele prinzipiell nichts und eine wie auch immer international wettbewerbsfähige Venture Capital-Szene existiert auch nicht. Und warum sollte die in einen weiteren Großpublisher investieren, nur, weil der aus Germany käme? Zumal andere Länder da ganz andere steuerliche Anreize bieten.
Aus diesem Grund treffen deutsche Entwickler bei jedem Versuch, ein großes Projekt zu pitchen, zumindest einmal auf das Problem, in einer Fremdsprache kommunizieren zu müssen. Der international nach wie vor existente Ruf Deutschlands als Land der Entwickler von WiSims und Point & Click-Adventures tut das seine hinzu. Die defensive Haltung gegenüber der Öffentlichkeit, die man in Deutschland als Entwickler bis vor wenigen Jahren beinahe zwangsläufig einnahm, wenn das Spiel nicht familienfreundlich war, erwies sich ebenso als wenig hilfreich. Wenigstens die letzten beiden Punkte sind inzwischen am Verschwinden. Die wachsende Anzahl internationaler Kontrakte ist meiner Meinung nach das erfreuliche Ergebnis. Ein zartes Pflänzchen, aber immerhin ein Pflänzchen, wo vorher Wüste war.
Deutschland kann viel mehr als WiSims (hier: Die Siedler)
Apropos Wüste! Aus irgendwelchen Gründen fällt mir bei dem Wort in Deutschland immer die Kultur ein. Das dritte chronische Problem der Industrie in Deutschland ist, genau: das kulturelle Umfeld. Noch genauer: die kulturell-politische Situation.
Dass in einer Gesellschaft, in der – über Jahrzehnte hinweg – (ich war dabei, ich weiß, wovon ich rede) die Entwicklung von Computerspielen gerade so knapp nicht als Straftatbestand gewertet wurde, in der die Verleihung eines von der öffentlichen Hand mager mitfinanzierten Computerspielpreises jahrelang an die Familientauglichkeit der Preisträger gebunden war, in der eine politische Jury die Entscheidungen der Fachjury noch einmal kontrollierte und eigenhändig ändern konnte, in der im öffentlich-rechtlichen TV Computerspiele als „Killerspiele“ verunglimpft wurden, und zwar mehr oder weniger in toto, ahnungsfrei und ohne den sonst üblichen Versuch, zumindest den Anschein der Unparteilichkeit zu erwecken …
… dass in einem solchen gesellschaftlichen Umfeld keine blühende, international aufregende Szene heranwachsen kann, muss nicht weiter begründet werden. Der deutsche Abgeordnete, der sich unter diesen Umständen mit einer Forderung nach öffentlicher Unterstützung der Schmuddelkinder konfrontiert sieht, denkt natürlich zuerst an die Wähler im Wahlkreis, deren Verständnis für dieses neumodische, die Gewaltkriminalität wahrscheinlich allein verursachende Zeug sich in Grenzen halten dürfte.
Unter Betondecken, so der wenig überraschende Befund, wachsen keine Weizenfelder.
Wer einmal Gespräche mit Professoren führt, die irgendwie im Bereich Games ausbilden, wird erfahren, dass sehr viele Talente inzwischen nicht mehr in der Spieleindustrie landen, sondern von den Giganten aus der Automobil- und Werkzeugindustrie aufgesogen werden. Industrie 4.0 lässt grüßen, Gamification, VR und Experience Design werden dort anständig bezahlt, Fachleute dringend gesucht. Wichtige Erkenntnisse müssen aus dem Ausland hinzugekauft werden. Die in Deutschland epidemisch verbreitete, reaktionäre Antwort auf alles, was Veränderung bedeutet: Sie hat der heimischen Entwicklung einer Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts jahrzehntelang in die Kniekehle getreten.
Wenn jetzt also der GAME-Bundesverband, von vielen belächelt, jährlich 100 Millionen für die deutsche Gamesbranche fordert, dann steckt dahinter natürlich nicht die Erwartung, dass der Bundesfinanzminister sofort das ja eigentlich prall gefüllte Schatzkästlein öffnet – schon gar nicht vor der Wahl. Natürlich ist der GAME dafür politisch zu schwach. Das weiß er selbst. Aber die Schwäche des GAME ist logische Konsequenz nicht nur eigener Fehler in der Vergangenheit, sondern auch der Schwäche des gerade einen neuen Anlauf nehmenden, seltsamerweise nicht totzukriegenden Pflänzleins deutsche Games-Industrie.
Förderung Made in Canada: Das Ubisoft-Hauptquartier in Montreal (Quelle: Ubisoft)
Ist es zu viel verlangt zu fordern, mal die Betonbrocken wegzuräumen und ein wenig Dünger draufzugießen?
Die Forderung, die der Verband aufstellt, kann er vielleicht nicht durchsetzen, aber sie ist legitim und kann eigentlich nur einen einzigen Einwand kennen: sie ist, zumindest langfristig betrachtet, viel zu niedrig. Mit Betonung auf „viel“. Wenn internationale Publisher ihre Investitionsentscheidungen treffen, dann kriegt Deutschland hinter alle Qualitätsmerkmale einen Haken gesetzt: Infrastruktur, Marktbedeutung, sogar die Qualität der Entwickler. Aber jedes andere größere Land, in das dann wirklich investiert wird, kennt einen bedeutenden Unterschied zu Deutschland: teilweise massive Steuererleichterungen. Dass die für die deutsche Spielindustrie fehlen, das ist schlichtweg nicht einsichtig begründbar. Im Gegenteil: Ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung als Schlüsseltechnologie ist außerdem ungleich höher, das Spiel auf dem Weg, die bedeutendste Kunstform dieses Planeten zu werden, sowohl von den Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks als von der Breitenwirkung her.
Der GAME hätte also mindestens genauso berechtigt 500 Millionen fordern können. Und der BIU noch ein paar oben drauf legen. In fünf bis zehn Jahren sollten das die Summen sein, über die wir zu reden haben. Natürlich könnten wir die momentan noch gar nicht sinnvoll verteilen. Aber wenn wir weiter jedes Jahr gegen die wesentlich schlechteren Randbedingungen ankämpfen müssen, die der deutsche Fiskus und die hiesige Wirtschafts- und Kulturförderung uns bieten, dann wird auch oben genanntes zartes Pflänzchen wieder verrecken. Und es geht nicht nur ums Geld. Es geht auch um öffentliche Akzeptanz. Es gibt so viele gute Argumente für eine massive Förderung unserer Industrie, wirtschaftliche wie kulturelle: wie wär’s wir tragen die mal in die Öffentlichkeit?
Wir befinden uns also in einer sich gerade rapide ändernden Gesamt-Tektonik. Das ist nichts Neues. In der Games-Industrie nennt sich sowas „Dienstag“. Neu ist, dass sich zum ersten Mal seit langem die wichtigsten Kontinentalplatten dieser Tektonik in die richtige Richtung zu verschieben scheinen. Wir haben die Qualität. Wir haben seit langer Zeit wieder zwei Verbände, die in dieser Hinsicht gewillt sind, zusammenzuarbeiten. Auch wenn ihre Ideen bezüglich der Art der Förderung unterschiedlich sind: soweit ich weiß, schließen sie sich nicht gegenseitig aus. Und beide wollen nur, was auch funktioniert.
Im Herbst ist Bundestagswahl, und auch wenn es zum von der CSU gewollten Digitalministerium wohl eher nicht kommt: wir können hoffen, dass Games in der kommenden Legislaturperiode eine größere Rolle spielen als bislang. Die Förderung von Games steht im Wahlprogramm der SPD, und auch die CDU ist nicht mehr abgeneigt. Viel wird davon abhängen, wer welchen Posten bekommt, und das Games nicht nur bei der Kultur, sondern auch bei der Wirtschaft und der Hochschulpolitik ankommen.
Denn noch haben wir die Talente, noch haben wir den Schwung einer aufblühenden Entwicklerlandschaft, die zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende nicht nur einen winzigen und sehr deutschen Teilbereich des Weltmarktes genre-mäßig bedienen kann. Spätestens aber wenn der Zugriff der ökonomischen Giganten in diesem Land auf diese Talente von sporadisch auf regelmäßig umschaltet, wenn ein Game Designer nicht mehr auf eine womöglich präkere berufliche Perspektive hin studiert, sondern ein mittleres 5-stelliges Einstiegsgehalt in der Automobilindustrie winkt, spätestens dann wird es wieder schwierig werden, diesen Talenten in nur halb-entwickelten Spieleschmieden eine attraktive berufliche Zukunft zu bieten.
Bald in der Automobilindustrie? Game Design-Absolventen (Quelle: Media Design Hoschule)
Es ist Zeit für unsere Industrie aufzustehen, auf die jüngsten Erfolge zu verweisen, die weitgehend ohne öffentliche Unterstützung zustande kamen – und daraus Forderungen abzuleiten. Es wird Zeit, über steuerliche Anreizmodelle und direkte Förderung von Prototypen und Technologien der deutschen Gamesindustrie die Wettbewerbsnachteile zu ersparen, gegen die sie seit Jahren ankämpft. Es wird Zeit, endlich zukunftsfähige Gehälter zahlen zu können. Es wird Zeit, eine international wettbewerbsfähige Publisher-Landschaft in Deutschland aufzubauen, indem die öffentliche Hand private Investitionsanreize fördert und gegebenenfalls Entwicklungen finanziell absichert. Es wird Zeit, dass an den Universitäten die Ausbildung weiter professionalisiert und ausgeweitet wird, dass Forschung in diesem Bereich in weit größerem Umfang bezahlt wird und sich eine breite Forschungs-Community bildet. Wenn Deutschland bei dieser wichtigen Technologie nicht auf Dauer Importweltmeister bleiben will, braucht es massive Investitionen in Forschung, Lehre und den Unterhaltungszweig der Branche, der ja sozusagen die Testumgebung für die gesamte Technologie darstellt.
Wie mein alter Lateinlehrer immer sagte: Es wird Zeit, Butter bei die Fische zu tun. Genau jetzt ist die Gelegenheit – und nicht viel Zeit, noch länger drüber zu diskutieren. Seit fast zehn Jahren sind Spiele offiziell Kulturgut. Was sich seither an öffentlicher Förderung dieses Kulturgutes getan hat, müsste dazu ausreichen, Deutschland die Selbstbezeichnung als „Kulturnation“ um die Ohren zu hauen. Es gibt viel nachzuholen, und gesagt ist längst alles und auch von jedem. Mehrfach!
Wir haben ein Zeitfenster von vielleicht, optimistisch geschätzt, zwei Jahren. Wenn sich bis dahin nichts Entscheidendes getan hat, um die Lücke zu schließen zwischen einer talentierten und international denkenden Indie- bis maximal AA-Entwicklerlandschaft einerseits, und Dutzende Millionen verschlingenden AAA-Produktionen andererseits, dann wird die nächste Gelegenheit lange auf sich warten lassen. Und, dies als kleiner Hinweis an die Sparfüchse in der Politik: das wird dann auch viel teurer werden.